Warum historische Verantwortung?

 

von Rt LeBasco (304) im Wonnemond a.U. 165 (2024)

 

Das Verhalten der deutschen Schlaraffia in den Jahren 1933 bis 1937 stellt eine höchst unrühmliche Epoche unseres Bundes in Deutschland dar, die 1937 auch auf Österreich übergriff. Die Geschehnisse dürften vielen der heutigen Schlaraffen nur am Rand bekannt sein, denn leider beschäftigen sich nur wenige Sassen mit der Geschichte unseres Bundes. So werden die schlaraffischen Ereignisse des Jahres 1933 in Deutschland gerne mit Begründungen wie: „Lasst uns damit in Ruhe – wir waren nicht daran beteiligt – das ist doch alles längst vorbei –es stört unser Wohlgefühl“ einfach ignoriert und damit zur Seite geschoben.

Am 23. April 1933 hatten die führenden deutschen Schlaraffen, komplettiert durch den OK Millex (15), der gleichzeitig ein hoch engagierter NSDAP-Parteigenosse war, Delegierte ihrer 131 Niederlassungen nach Leipzig einberufen. Anwesend waren 89 Abgesandte, von denen einige zusätzlich als stimmberechtigte Sachwalter von 27 nicht anwesenden Standorten agierten. 15 Ortsvereine hatten auf die Ladung überhaupt nicht reagiert und wurden im ausführlichen Protokoll als „nicht vertreten“ registriert.

Ohne diese beschlossen dann beinahe 90% aller deutschen Reyche und Colonien einstimmig, mit gleichem Datum erstens den Dachverband der Prager Allmutter zu verlassen, zweitens sich als „arisiert“ zu erklären und gleichzeitig ihre jüdischen Mitglieder des Bundes zu verweisen. Zusätzlich verpflichteten sie sich drittens zu der „von der Regierung gewünschten Gleichschaltung“.

Aus Sicht der betroffenen jüdischen Schlaraffen muss dieser Vorgang, menschlich gesehen, ein fürchterlicher Schock gewesen sein. Sie wurden nicht nur gegen Pragas Gesetz und somit völlig zu Unrecht ihres Schlaraffentums beraubt, sondern auch eines wesentlichen Teils ihres persönlichen Wertgefühls als deutsche Staatsbürger, als die sie sich empfanden und bisher lebten. So hatten nachweislich im ersten Weltkrieg viele Juden für ihr Vaterland gekämpft und Auszeichnungen erhalten.

Dieser schlaraffischen Diskriminierung war ab 1. April 1933 ein Pogrom vorausgegangen, der von Streichers Zentralkomitee maßgeblich organisiert wurde und sich gegen jüdische Firmen, Geschäfte, aber auch mosaische Freiberufler aller Sparten, sowie gegen Studenten und Hochschullehrer des gleichen Glaubens richtete. Damit hatten die Nazis den ersten Schritt auf ihrem direkten Weg zur Wannseekonferenz im Januar 1942 vollzogen.

Ebenfalls am 1. April wurde das im Layout „Derer Schlaraffia Zeyttungen“ gedruckte und inhaltlich skurrile Dokument (BDS-Rundsendbote Nr. 1) über die „Greuelmär“ herausgegeben. Es war überschrieben mit: „Schlaraffen des Uhuversums hört!“ und unterzeichnet durch: „Die beauftragten Allschlaraffischen (deutschen) Schiedsrichter“. Man darf unterstellen, dass dieser höchst fatale Gleichklang im Münchner „Braunen Haus“ unter direkter Mitwirkung von Millex vereinbart worden war.

Die Allmutter Praga (1) nahm die Tatsache des Verlustes der deutschen Schlaraffenreyche zumindest nach außen völlig stoisch hin. Es wurde auch den jetzt als Bund Deutsche Schlaraffia (BDS) neu formierten deutschen Reychen trotz des erfolgten Leitbildwechsels nicht das Recht abgesprochen, sich weiterhin als Schlaraffia zu bezeichnen und gemäß einem eigenen, dem Naziregime konformen Regelwerk zu sippen. Ab jenem Datum bestand ein schlaraffisches Schisma, einmal die unter dem Schirm der Prager Allmutter verbliebenen Reyche und einmal die des BDS.

Eine Beurteilung der schlaraffischen Vorgänge aus heutiger Sicht bedarf mehrerer Blickwinkel auf das damalige Geschehen. Die Soziogenese des Verhaltens der deutschen Gesellschaft in den 20-er und 30-er Jahren reicht weit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, wobei sich politisch-toxische Inhalte über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren völlig ungehindert im gesellschaftlichen Alltag immer weiter potenzieren konnten.

Man sollte mit heutiger Übersicht im damaligen Deutschland exakt zwischen dem politischen Mainstream der Profanei und dem dazu parallelen Geschehen im schlaraffischen Raum differenzieren. Beide Lebensbereiche, durch unseren Spiegel von Beginn an klar getrennt, wurden durch entsprechend umtriebig-braune Schlaraffen im Sinn der „Neuen Zeit“ regelwidrig durchmischt.

Zweifellos waren profane Politiker und ihre Parteien die Urheber und permanenten Lautsprecher des „völkisch“-nationalistischen und antisemitischen Gedankengutes, die viele Angehörige des gebildeten Bürgertums und damit auch Schlaraffen nach Ende des ersten Weltkrieges in ihren Bann zogen, sodass sie sich später als Anhänger der Hitler-Partei wiederfanden. Es gab aber auch etliche Sassen, die aus innerer Überzeugung die Leipziger Beschlüsse und ihre Folgen nicht akzeptierten, was durch das Verhalten einiger Reyche dokumentiert werden konnte, wie auch durch überlieferte Aussagen einzelner Schlaraffen. Inwiefern deren Zahl aber den schützenden Begriff einer schweigenden Mehrheit innerhalb der damaligen deutschen Schlaraffia heute rechtfertigt, sollte derzeit mangels einer historisch beweisenden Quellenlage noch offenbleiben.

Auf jeden Fall sei deutlich vor einer verallgemeinernden Absolution und damit verbundenen Verniedlichung des Wirkens der damalig nazistisch aktiven Schlaraffen gewarnt. Ein solcher Gedanke könnte heute durch die zeitliche Distanz unter dem Aspekt „Gnade der späten Geburt“ (Helmut Kohl) und durch eine unpräzise Apperzeption des damaligen Geschehens als angebracht empfunden werden. Das ideelle Delikt vom 23.4.1933 war und ist für eine bemäntelnde Wertung einfach zu gravierend, da die seit 1859 einvernehmlich bestehende Regel über schlaraffische Grundlagenwerte gewissenlos gebrochen wurde, indem man die Doktrin der Freundschaft nach der nazistischen Ideologie beugte.

Deshalb gilt es eine Wiederholung des damaligen Zeitenlaufes unbedingt zu verhindern, eine Ansicht, die durch den Konsens der heutigen Schlaraffen gedeckt sein dürfte. Doch bedarf entsprechendes Handeln zunächst einer umfassenden Bestandsaufnahme und damit auch Kenntnis der Ursachen und Vorgänge des schlaraffischen Verhaltens in jenen Jahren. Das ist in den bisherigen allschlaraffischen Chroniken gemäß einer historisch fundierten Darstellung leider noch nicht geschehen. Es ist höchste Zeit, dieses Versäumnis aufzuarbeiten, wie auch die Entschuldigung im Namen der allschlaraffischen Verbandes bei den Opfern und vor der heutigen Gesellschaft für das interne Fehlverhalten in dieser Zeit, bevor dieser ganze Komplex der Schlaraffia vielleicht einmal von außen vorgehalten wird.